"Das Gedächtnis der Menschheit für Leiden ist erstaunlich kurz."

Antikriegstag 1.9.2022 Tübingen - Wir dokumentieren die Rede von Lothar Letsche, Mitglied des Geschäftsführenden Landesvorstands der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Baden-Württemberg e.V.:

Liebe Friedensfreundinnen und Freunde,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

am 1. September 1939 überfiel Nazi-Deutschland Polen - das Schlüsselereignis in Europa für den Zweiten Weltkrieg, der eigentlich schon 1931 begonnen hatte, als die japanischen Militaristen den Norden Chinas überfielen (das vergisst man hierzulande oft). Dieser Krieg forderte 80 Millionen Tote. Die größte Zahl der Opfer, ca. 27 Millionen, fast 15% ihrer Gesamtbevölkerung, hatte die Sowjetunion zu beklagen. Sie war es, die die Hauptlast der schließlich unter gigantischen Opfern gelungenen Befreiung von Krieg und Faschismus zu tragen hatte.

Seit nunmehr 65 Jahren erinnern wir an diesem Tag an die Opfer des Krieges und ehren diejenigen, die Opfer erbrachten um die Welt vom Faschismus und den von ihm geführten Krieg zu befreien. Wir erinnern am Antikriegstag vor allem daran, dass Krieg eine menschengemachte Katastrophe ist, die auch von Menschen verhindert werden kann und
muss.

Das Gedächtnis der Menschheit für Leiden ist, wie Bertolt Brecht schrieb, erstaunlich kurz.

Die Liste der Kriege, die auch in den Jahren nach der bisher größten Menschheitskatastrophe, dem zweiten Weltkrieg geführt worden sind, die Liste der Opfer die sie gefordert haben, der Staaten und Regionen, die verwüstet, zerstört, zerstückelt und destabilisiert und die Liste der ungezählten Menschen, die in Armut, Elend und Verzweiflung gestürzt und zur Flucht gezwungen wurden, diese Liste ist weit länger als dass sie hier aufgezählt werden könnte.

Nicht alle aber die meisten dieser Kriege wurden geführt von jenem Staat, der sich nach dem letzten Krieg zur führenden Weltmacht mit der mit Abstand größten Militärmaschine weltweit entwickelt hat von den USA und ihren Verbündeten in der NATO. Darunter auch seit den 90iger Jahren das wiedervereinigte Deutschland.

Nicht alle dieser Kriege, aber die allermeisten, wurden vom Zaun gebrochen unter Verletzung des Völkerrechts, das ebenso wie das Grundgesetz jeden Angriffskrieg verbietet.

So gut wie alle wurden gerechtfertigt durch vorher propagandistisch aufgebaute Feindbilder und durch Lügen, die die Balken bogen und die nur mühsam verschleiern konnten, dass es in Wahrheit um die Durchsetzung von ökonomischen Interessen, um Märkte, Rohstoffe und ihre Transportwege und Großmachtinteressen geht.

Das wissen wir und das sollten wir nicht vergessen. Auch nicht beim jetzigen Krieg in der Ukraine. Seine Vorgeschichte begann lange vor dem ebenfalls völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands am 24. Februar.

Sie begann, als die NATO sich 1999 trotz aller gegenteiligen Zusagen entschloss, sich bis an die russische Grenze auszudehnen. Mit dem finnischen und schwedischen Beitritt wird sich die Zahl der Nato-Mitglieder von 16 auf 34 verdoppeln. Belarus und die NATO Beitrittskandidaten Ukraine und Georgien, sind nun die letzten größeren Staaten, die die NATO von der russischen Grenze trennen.

Begleitet wurde dieses militärische Vorrücken in Richtung Russland von der Kündigung fast aller bisher bestehenden großen Rüstungskontrollverträge. Seit 2002 wurden der ABM Vertrag, der INF Vertrag 2018, und der openskys Vertrag 2020 von den USA einseitig gekündigt.

Gleichzeitig wurde der 1973 so hoffnungsvoll begonnene Ansatz des KSZE Prozesses der für eine gemeinsame gegenseitige Sicherheit aller Staaten Europas sorgen sollte, zwar niemals formal abgebrochen aber in der politischen Praxis weitgehend auf Eis gelegt.

Es wurde bereits erinnert an die 1980-iger Jahre, als wir zu Hunderttausenden letztlich erfolgreich auf die Straße gingen, gegen die Stationierung von Atomraketen, die Moskau mit einer Vorwarnzeit von 5 Minuten hätten erreichen können, um wie es ein US-Militärstratege formulierte, dem „sowjetischen Huhn den Kopf abzuschlagen“. Damals stand zu befürchten, dass der Atomkrieg auf Europa begrenzbar und damit für die USA auf dem Schlachtfeld Europa führbar gemacht werden sollte.

Und heute: die neuesten in einem großangelegten Modernisierungsprogramm angeblich „smart“ - das heißt kleiner und zielgenauer - gemachten US Atomraketen wären in der Lage, Moskau von der Ukraine aus in 2 Minuten zu erreichen.

Was erleben wir heute für eine Politik?

Haben wir angesichts der gigantischen Herausforderungen, vor die uns der Klimawandel, die Pandemie, Hunger und Armut in großen Teilen der Welt und anderes stellen, nicht andere Probleme als Konfrontation und Krieg?

Wer strebt warum eine offene, militärische Konfrontation mit der Atommacht Russland an? Welches Interesse sollten wir daran haben, unser europäisches Nachbarland Russland militärisch einzukreisen, zu bedrohen und ökonomisch „zu ruinieren“ wie es unsere olivgrüne Außenministerin will?

Nein, das alles geschieht weder im vernünftigen Interesse der Menschen in Deutschland, noch der Menschen in Europa, noch aller Menschen dieser Welt, die in Frieden und Würde zusammenleben wollen.

Kurz gesagt: Das ist eine Scheißpolitik, die genauso gestoppt werden muß, wie der Krieg in der Ukraine. Sofort!!

Immer wieder waren wir wie auch heute auf der Straße um geplante Kriege zu verhindern oder ihr sofortiges Ende zu fordern. – Manchmal zählten wir nach Millionen, häufig auch bildeten wir eine kleine Minderheit.

Aber weiterhin gilt und muss gelten: Wo Kriege vorbereitet und geführt werden, da finden sich Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner zusammen die ungeachtet unterschiedlicher Weltanschauungen und politischer Überzeugungen Widerstand dagegen leisten!! Das ist gut so.

Und es ist gerade heute so drängend, diesen Widerstand gegen den Wahnsinn

- der Hochrüstung,

- der Konfrontationspolitik,

- der kriegsverlängernden und Kriegsopfer vermehrenden Waffenlieferungen,

- der von Politik und Medien geschürten Feindbilder zu leisten und die Friedensbewegung zu stärken!

Wir fordern:

Frieden! Abrüstung! Entspannung! Zusammenarbeit! Jetzt und sofort !!!

(Diese Rede wurde von VVN-BdA-Landesgeschäftsführer Dieter Lachenmayer konzipiert und von ihm nahezu wortgleich bei der diesjährigen Antikriegstagskundgebung in Stuttgart gehalten.)

Lothar Letsches Rede als Video:

http://berufsverbote.de/tl_files/Diversa/Antikriegstag2022TUE.mp4

Und hier noch ein paar Fotos von der Tübinger Kundgebung:

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