Mittelstreckenwaffen in der Etappe

Wir dokumentieren:

Rede zum Antikriegstag am 31. September 2024 auf dem Holzmarkt in Tübingen

von Christoph Marischka, Informationsstelle Militarisierung, Tübingen

Liebe Freund*innen und Freunde,

es herrscht Krieg. Nicht nur da, wo alltäglich Menschen sterben – im Sudan, in der Ukraine, in Nahost und mittlerweile auch auf russischem Territorium – sondern auch in der Etappe, auch hierzulande bestimmt der Krieg das Bewusstsein. Egal was passiert: die Antwort lautet Aufrüstung. Und wir können hierzulande gerade sehr gut beobachten in einem Wahlkampf, der eigentlich nur ein Landtags-Wahlkampf ist, aber bundesweit geführt wird, dass die Aufrüstung Teil eines massiven Rechtsrucks ist. Zu diesem Rechtsruck gehört u.a. eine sehr weit gehende Entledigung von der historischen Schuld Deutschlands an zwei Weltkriegen und dem hieraus abgeleiteten Anspruch einer Kultur militärischer Zurückhaltung. Davon ist keine Rede mehr – stattdessen von „Kriegstüchtigkeit“, „Abschreckung“, von verschiedenen Waffensystemen und ihrer angeblich durchschlagenden Wirkung: Leopard, F16, Taurus, nun auch noch Tomahawk, Dark Eagle, SM-6 undsoweiter – alltäglich und sogar im Kinderfernsehen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

hier betrifft uns natürlich v.a. der Krieg in der Ukraine, der nun auch noch – erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg und wieder mit deutschen Waffensystemen – auf russischem Boden geführt wird. Ob und wie weit die NATO und Deutschland hier bereits Kriegspartei sind, ist schwer zu beantworten – es ist auch relativ müßig, weil die Reaktion von der Einschätzung der Gegenseite abhängt, nicht von juristischen Erwägungen hierzulande. Ich persönlich bin der Auffassung, dass Deutschland auf jeden Fall so etwas wie die Etappe ist: Das Gebiet jenseits der Front, von wo aus diese versorgt und bewirtschaftet wird. Hierzulande werden ukrainische Soldaten ausgebildet, bevor sie an die Front geschickt werden, man versucht auch hierzulande zusätzliche Soldaten zu mobilisieren. Man produziert Waffen und Munition, um sie an die Front zu schicken, man plant den Bau neuer Waffenfabriken in der Ukraine. Auch hierzulande wird ein Informationskrieg geführt, um den Feind zu delegitimieren, seine Verbündeten zu schwächen, die Kriegswilligkeit der eigenen Bevölkerung aufrecht zu erhalten und den Einsatz knapper Ressourcen für Krieg und Vernichtung zu rechtfertigen. Dabei ist ganz klar: einen solchen Informationskrieg führt auch Russland und Russland hat diesen Krieg mit einem völkerrechtswidrigen Akt begonnen. Aber fast alles was ich gesagt habe über Deutschlands Rolle in der Etappe, trifft auch auf Israel zu und hier sieht es mit der Frage, wer angefangen hat, schon deutlich komplizierter aus. Es ist jedenfalls schwer, weiterhin ernsthaft zu behaupten, dass der Krieg Israels noch allzu viel mit dem Massaker vom 7. Oktober zu tun habe. Völkerrechtlich ist ohnehin sehr umstritten, dass sich Israel auf ein Selbstverteidigungsrecht berufen kann, weil es aus einem Gebiet angegriffen wurde, das es besetzt hält – das hat das höchste Gericht der UN, der IGH, kürzlich noch einmal klipp und klar, einstimmig festgestellt.

Liebe Freundinnen und Freunde,

nun sollen nach dem Wunsch der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen – eine deutsche Adelige, die die EU führt – in der Etappe auch wieder neue Kernkraftwerke gebaut werden, mit explizitem Verweis auf den Krieg, der eigentlich die Gefahr der Kernkraft alltäglich vor Augen führt. Und nun sollen in dieser Etappe, ganz konkret und zunächst ausschließlich in Deutschland Mittelstreckenwaffen stationiert werden, die von hier aus in wenigen Minuten russisches Territorium erreichen können. Das hat ganz klar eine strategische, eine nukleare Dimension – auch wenn die Mittelstreckenwaffen in Deutschland selbst nicht atomar bestückt werden. Die Vorbereitungen hierfür wurden übrigens schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine getroffen – die IMI hat damals bereits darauf hingewiesen. Wer behauptet, das hätte keine strategische, nukleare Dimension, der hat entweder keine Ahnung oder er täuscht bewusst die Öffentlichkeit, wie viele sog. Militärexpert*innen in den großen, öffentlich rechtlichen oder privaten Medien. Nicht umsonst wurden genau solche Systeme mit dem INF-Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion abgerüstet und untersagt. Ich zitiere aus einem aktuellen Standpunkt von Claudia Haydt bei der IMI mit dem Titel „Ein neues europäisches Raketen-Zeitalter?“:

„Die Mittelstreckenraketen standen in den 1980er Jahren im Zentrum der Abrüstungsbemühungen, weil es sich um eine hochgradig gefährliche Waffengattung handelt, mit der innerhalb weniger Minuten eine umfassende militärische Konfrontation ausgelöst werden kann, die weite Regionen umfasst.“

Liebe Freundinnen und Freunde,

auch im Diskurs über die längst beschlossene Stationierung dieser Waffen in Deutschland – die entgegen vielerlei Märchen, die nun erzählt werden, in Washington getroffen und in Berlin nur abgenickt wurde, ist wieder eine massive Einseitigkeit in der Debatte und unter den zu Wort kommenden Expert*innen zu vernehmen. Da werden abenteuerliche Narrative in die Welt gesetzt, allen voran, dass das UNSERER Sicherheit dienen würde. Und uns wird erzählt, dass das eine deutsche Initiative gewesen wäre, um sich für den Fall einer Wahl Trumps abzusichern. Liebe Leute, auch das ist hanebüchener Quatsch, denn bei einer Wahl Trumps wäre es eben dieser, der über die konkrete Stationierung und den konkreten Einsatz dieser Waffen entscheidet. Diese Stationierungsentscheidung ist keine Maßnahme gegen einen Präsidenten Trump, sondern eine gefährliche Waffe, die man genau diesem im Falle seiner Wahl in die Hand gibt, um aus Deutschland, aus der Etappe, einen Krieg anzufangen oder weiter eskalieren zu können.

Liebe Freundinnen und Freunde,

viel gäbe es noch zu sagen über aberwitzige Geschichten und Einschätzungen, die hierzulande das Kriegsgeschrei in der Etappe prägen. Vieles davon kann man bei IMI erfahren, für vieles reicht auch der gesunde Menschenverstand. Klar ist: wir müssen umlenken, die Vernunft wieder gegen das Kriegsgeschrei, gegen Aufrüstung und Sozialabbau in Stellung bringen. Aber ich will mich kurz halten und zitiere hier abschließend nochmal den bereits zitierten Standpunkt von Claudia Haydt – der übrigens sehr gut auch den offensiven Charakter der für Deutschland vorgesehenen Mittelstreckenwaffen auf den Punkt bringt:

„Der laufende Prozess des Wettrüstens muss gestoppt werden. Das geht nur mit neuen globalen Abrüstungsverträgen. Wie in den 1980er Jahren müssen dazu die Gegner verhandlungsbereit sein. Nötig ist hier die Einbeziehung aller relevanten Akteure. Die Methoden für Abrüstung und gegenseitige Kontrolle müssen nicht neu erfunden werden. Verifikationsmechanismen sind längst erprobt und können eine erste Grundlage für gegenseitige Vertrauensbildung sein. Neu gefunden werden muss jedoch der politische Wille zur Abrüstung und zur Wiederbelebung der Diplomatie. Da dieser zurzeit bei den politisch Verantwortlichen kaum vorhanden ist, kommt es auf den Druck aus der Bevölkerung an.“

https://www.imi-online.de/2024/09/02/mittelstreckenwaffen-in-der-etappe/
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