"Friedensoffensive - give peace a chance"

Unter diesem Motto fand am 28. Januar 2022 auch in Tübingen eine Kundgebung statt. Organisiert hatte sie angesichts der aktuellen Kriegsgefahr die Gesellschaft Kultur des Friedens. Auch das Tübinger Friedensplenum/Antikriegsbündnis hatte zur Teilnahme aufgerufen. Sein Mitglied Heike Hänsel hielt die nachstehend dokumentierte Rede:

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

es ist wichtig, dass wir heute hier stehen, um differenzierter über den Ukraine-Konflikt zu informieren und der vorherrschenden Kriegspropaganda in den meisten Medien etwas entgegen zu setzen. Diese haben sich gerade die SPD vorgeknöpft, weil es eben immer noch einige GenossInnen gibt, die sich an die Entspannungspolitik von Willy Brandt erinnern und eher auf Deeskalation und Kooperation setzen. „Die SPD hat ein Russland-Problem“ so der Spiegel, und der Tagesspiegel sieht gar russische Netzwerke innerhalb der SPD und Olaf Scholz im Schwitzkasten von Altkanzler Schröder. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien wiederholen diese Propaganda, dabei sind sie aus guten historischen Gründen per Staatsvertrag der Völkerverständigung und Friedenswahrung verpflichtet, und daran sollten sie sich auch endlich einmal halten!

Dagegen sieht laut ZDF-Politbarometer die Mehrheit der Bevölkerung keine Gefahr eines russischen Einmarsches, 73% will keine Waffenlieferungen an die Ukraine, und eine Mehrheit geht davon aus, dass russisches Gas verlässlich geliefert wird Da kann ich nur sagen: Ich bin froh, dass wir nach wie vor eine Bevölkerung haben, die nicht dieser Feindbild-Politik folgt!

US-Präsident Biden kündigte nun weitere US-Truppenverlegung nach Osteuropa an. Anscheinend wird es aber mittlerweile sogar dem ukrainischen Präsidenten Selensky zu viel, der laut afp-Meldung von gestern Abend den Westen auffordert, keine Panik zu säen, ein Einmarsch Russlands stünde nicht unmittelbar bevor, mittlerweile würden bereits Investoren ihr Geld aus der Ukraine abziehen.

Die Situation ist ernst, aber sie bietet auch die Chance, den tieferen, seit Jahren schwelenden Konflikt mit Russland endlich wirklich anzugehen, der vor allem durch die NATO-Osterweiterung entstanden ist und auch über eine alternative Sicherheitsarchitektur in Europa zu sprechen.

Die Truppenübungen der russischen Armee, die als Beginn der aktuellen Eskalation dargestellt werden, finden auf russischem Boden statt – 350 Kilometer weit weg von der Grenze zur Ukraine. Im Unterschied dazu stehen die ukrainischen Soldaten wesentlich näher an der Grenze zu Russland, von den NATO-Truppen in den Nachbarländern ganz zu schweigen.

Als Ausgangspunkt der jüngsten Eskalation muss auch ein Angriff der ukrainischen Armee auf Stellungen der Aufständischen im Donbass bereits im Oktober 2021 mit türkischen Kampfdrohnen, die übrigens mit Hilfe deutscher Technologie der Firma Hensoldt entwickelt wurden, gesehen werden, wie die Berliner Zeitung unter Verweis auf Anfragen der Linke-Abgeordneten Sevim Dagdelen an die Bundesregierung in Erinnerung ruft.

Mit dem erstmaligen Einsatz der Killerdrohnen durch Kiew stand also über Nacht die militärische Rückeroberung der selbsternannten Volksrepubliken als Drohung im Raum, ein klarer Verstoß gegen das Minsker Abkommen. Wäre die Bundesregierung eine seriöse Mittlerin, würde sie diese Verstöße der ukrainischen Regierung, es gibt zahlreiche Weitere, auch verurteilen, statt nur immer mit neuen Sanktionen gegen Russland zu reagieren. Russland reagierte seinerseits mit einer militärischen Drohkulisse sowie der Forderung nach umfassenden Sicherheitsgarantien und einer Absage an eine Aufnahme der Ukraine in die NATO.

Als Friedensbewegung fordern wir ein Ende aller militärischen Drohgebärden und die konsequente politische Lösung des Ukraine-Konfliktes!

Die Behauptung der NATO, es hätte nie Zusagen gegeben nach Ende des Kalten Krieges, auf eine NATO-Osterweiterung zu verzichten, ist gelogen! Es gab keine schriftlichen Verträge, ja, aber etliche Zeugnisse mündlicher Zusagen, heute noch einsehbar, zB. von Hans-Dietrich Genscher, James Baker und später auch Helmut Kohl. Es war naiv vom damaligen Präsidenten Michail Gorbatschow dies nicht zu fixieren, war aber vielleicht auch dem damaligen Geist der Entspannung geschuldet.

Die NATO befindet sich seit Jahren in einer Position der Stärke gegenüber Russland mit über 1 Billion Dollar Rüstungsausgaben gegenüber 66 Millionen Dollar russischer Rüstungsausgaben. Mittlerweile sind 30 Länder in der NATO, und NATO-Beitritte der Ukraine, Georgien, Moldawien werden ständig ins Spiel gebracht. Aber auch ohne NATO-Beitritt, diese Länder sind jetzt schon engste NATO-Partner, beteiligen sich zum Beispiel auch an den großen US-Manövern „Defender Europe“ in Osteuropa mit eigenen Soldaten, die Krieg gegen Russland üben. Die Ukraine wird mit US-Waffen zugeschüttet. Soldaten der USA und anderer NATO-Staaten einschließlich Deutschlands stehen in Polen, Rumänien, den baltischen Staaten, dies verstößt gegen die Vereinbarungen der NATO-Russland-Akte, deshalb rotieren die Soldaten trickreich alle 6 Monate. Dies ist kein Zeichen von Vertrauensbildung, sondern schürt Mißtrauen. Parallel dazu haben die USA etliche Rüstungskontrollverträge wie INF, Open Sky einseitig gekündigt, Russland hat dann leider ebenfalls diese aufgekündigt. Es ist auch euphemistisch zu sagen, jedes Land könne sein eigenes Militärbündnis wählen: denn was heißt hier Wahl? Es gibt nur ein einziges Bündnis, das weltweit hochgerüstete Militärbündnis NATO, und es ist überfällig, dass dieses Relikt des Kalten Krieges überwunden wird, um eine neue Sicherheitsarchitektur besser Friedensarchitektur aufzubauen!

Wer wie die US-Regierung Tausende Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt, Diplomaten aus der Ukraine abzieht, torpediert jede Bemühung um Deeskalation und redet einen heißen Krieg auf europäischem Boden herbei. Alle Appelle an Russland zu sichtbaren Schritten der Deeskalation im Ukraine-Konflikt bleiben unglaubwürdig, wenn die USA und europäische NATO-Mitglieder gleichzeitig ankündigen, Truppen in die Russland-Anrainer-Staaten zu entsenden. Der Ukraine-Konflikt kann nur am Verhandlungstisch gelöst werden, nicht durch Rüstungslieferungen aus Deutschland – seien es Helme oder Haubitzen! Die Bundesregierung muss Waffenlieferungen ablehnen und auch Kiew zur Einhaltung des Minsker Abkommens drängen und jeden weiteren Einsatz von türkischen Kampfdrohnen durch die Ukraine unmissverständlich verurteilen. Wer die wachsende Kriegsgefahr in Europa stoppen will, darf nicht weiter wie die NATO unter US-Führung Öl ins Feuer gießen!

Und vor allem: Wer es ernst meint mit Sicherheit, Stabilität und Frieden in Europa, darf die Sorgen Russlands mit Blick auf die NATO-Osterweiterung nicht länger ignorieren. Und Deutschland ist schon aus historischer Verantwortung heraus dazu besonders verpflichtet. Stabilität und Sicherheit in Europa gibt es nur mit, nicht gegen Russland. Das heißt: gemeinsame Sicherheit, die aufbaut auf Vertrauen und Interessensausgleich, Rüstungskontrolle und Abrüstung!

Dabei können wir auf wertvolle Erfahrungen zurückgreifen, zum Beispiel des KSZE-Prozesses. In Europa könnte die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit die Rolle bekommen, die nach dem Ende des Kalten Krieges möglich schien: eine Friedensarchitektur in dem „Haus Europa“ aufzubauen als Alternative zu NATO! Die Bundesregierung muss mehr Frieden wagen und diese Idee vorantreiben, sonst ist es eine Frage der Zeit, bis zur nächsten großen Krise!
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Friedensplenum/ Antikriegsbündnis Tübingen e.V.

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