Minsker Abkommen - ernst gemeint oder List?

Altbundeskanzlerin Angela Merkel - das Zitat:

"Merkel: (...) Oder schauen wir auf meine Politik in Bezug auf Russland und die Ukraine. Ich komme zu dem Ergebnis, dass ich meine damaligen Entscheidungen in einer auch heute für mich nachvollziehbaren Weise getroffen habe. Es war der Versuch, genau einen solchen Krieg zu verhindern. Dass das nicht gelungen ist, heißt noch nicht, dass die Versuche deshalb falsch waren.
ZEIT: Man kann aber doch plausibel finden, wie man in früheren Umständen gehandelt hat, und es angesichts der Ergebnisse trotzdem heute für falsch halten.
Merkel: Das setzt aber voraus, auch zu sagen, was genau die Alternativen damals waren. Die 2008 diskutierte Einleitung eines Nato-Beitritts der Ukraine und Georgiens hielt ich für falsch. Weder brachten die Länder die nötigen Voraussetzungen dafür mit, noch war zu Ende gedacht, welche Folgen ein solcher Beschluss gehabt hätte, sowohl mit Blick auf Russlands Handeln gegen Georgien und die Ukraine als auch auf die Nato und ihre Beistandsregeln. Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben.
Anm. d. Red.: Unter dem Minsker Abkommen versteht man eine Reihe von Vereinbarungen für die selbst ernannten Republiken Donezk und Luhansk, die sich unter russischem Einfluss von der Ukraine losgesagt hatten. Ziel war, über einen Waffenstillstand Zeit zu gewinnen, um später zu einem Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu kommen. (Ende der Anmerkung)
(Fortsetzung Merkel:) Sie hat diese Zeit hat auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie man am Kampf um Debalzewe (Eisenbahnerstadt im Donbass, Oblast Donezk, d. Red.) Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die Nato-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen. (...)"

Quelle des Zitats: "Hatten Sie gedacht, ich komme mit Pferdeschwanz?" Interview der Wochenzeitschrift "Die Zeit" mit Angela Merkel, Interviewer Tina Hildebrandt und Giovanni di Lorenzo, veröffentlicht am 1. Dezember 2022

Der Kommentar:

"Die wider einen Feind gebrauchte List wird mit gutem Grund getadelt

Lucius Marcius, welcher in dem Kriege wider den Macedonischen König Perseus Römischer Legat war, suchte die nöthige Zeit zu gewinnen seine Armee auf guten Fuß zu setzen. Er that daher Friedensvorschläge, durch welche der König eingeschläfert wurde, auf einige Tage einen Waffenstillstand bewilligte, und auf diese Art seinem Feinde Gelegenheit und Frist gab sich zu rüsten. Der König büßte hierüber alles das Seinige ein. Gleichwohl mißbilligten die Leute in dem Rathe, welche noch der Sitten ihrer Väter eingedenk waren, dieses Verfahren, weil es der hergebrachten entgegen war, der zu folge man, wie sie sagten, mit Tapferkeit, nicht aber mit List, nicht mit plötzlichen und nächtlichen Ueberfällen, nicht durch eine verstellte Flucht und einen neuen Angriff, gefochten..."

Quelle: Michel de Montaigne, Essais (Versuche), ins Deutsche übersetzt von Johann Daniel Tietz, Erster Theil, Das V. Hauptstück: Ob sich der Befehlshaber in einer belagerten Stadt hinaus begeben soll, um Unterhandlung zu pflegen, Zürich 1992, S. 36 (Neuausgabe der in Leipzig 1753/54 erschienen Erstausgabe der Übersetzung von Tietz)

Den Hinweis auf Montaigne fanden wir bei Alexander Kluge, "Vertrauen inmitten von Gewalt". Geschichten zum Thema Kapitulation, in: Susanne Fischer, Gerd Hankel und Wolffgang Knöbl (Hrsg.), Die Gegenwart der Gewalt und die Macht der Aufklärung. Festschrift für Jan Philipp Reemtsma, Springe 2022, Band 2, S. 356ff.
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